ÜBER DEN BULLEN IN DEINEM KOPF!

Zu Normen, Diskriminierungen, Freiräumen.

“Eine Norm ist einfacher zu sprengen als ein Atom. Und sinniger.”

Sand im Getriebe

brautkleidFlyer am CSD Freiburg, 12. April 2014

 

Von der Norm zum Käfig

Was ist eine Norm?

Normen sind Vorschriften, wie ein Mensch sich in bestimmten Situationen in der Gesellschaft zu verhalten hat.

Normen sind kulturell unterschiedlich. Sie können auch von Ort zu Ort unterschiedlich oder weit verbreitet sein. Zum Beispiel ist der Gedanke, dass Frauen Hosen und Röcke tragen dürfen, Männer hingegen nur Hosen, weniger in der Welt verbreitet, als der Gedanke, dass Homosexualität etwas Schlechtes sei.

Eine Norm baut zwei Seiten auf und zieht eine Grenze dazwischen: entweder du passt dich an und hältst dich an die Vorschriften, oder du bist Anormal, Außenseiter_in, ein Freak halt.

Vorgegebenes Kontaktaufnahmeprinzip

Es fällt dir natürlich leichter, dich an Normen anzupassen. Dadurch hast du einen viel einfacheren Umgang mit den anderen Angepassten, die ja den größten Teil der Gesellschaft ausmachen. Die Grenzen sind vorgesteckt, du musst sie nicht mehr selber suchen. Du weißt gleich, dass du etwas Gemeinsames mit dem Menschen neben dir hast: eine vertraute Verhaltensweise, in der der Umgang miteinander vordefiniert und alles völlig unkompliziert ist!

Und wenn du auf die Idee kommst, dich in dem Normensystem nicht mehr angemessen zu verhalten zu wollen und als Außenseiter_in dazustehen? Dann wird dein Umgang mit denjenigen, die sich daran halten, unvertraut. Dann musst du damit leben, dass jeder Kontakt, den du aufnimmst, der Eintritt in etwas Unbekanntes ist, wo die Grenzen erstmals geklärt und verteidigt werden müssen.

Sozialisation, gratulieren…

Dazu ist es dir doch schon als kleines Kind beigebracht worden, dass du dich in einem System bewegst, in dem alles in „Schwarz“ oder „Weiß“ getrennt ist. Wo es Frauen gibt, die schön sein und Männer, die stark sein sollen. Da wird dir nicht die Bedienungsanleitung gegeben, um herauszufinden wo du dich mit deiner eigenen Realität befindest… Da gibt es nur eine Realität!

Und wer hat bitte schon Bock darauf, die Leute zu enttäuschen? Wirst du eher beglückwünscht wenn du heiratest oder wenn du dich scheiden lässt? Es gibt so viele Erwartungen, in denen wir gefangen sind… Es hätte deine Eltern bestimmt gefreut, wenn du als kleine Mädchen das erste Mal ein Prinzessinnenkleid hättest tragen wollen.

Bestrafung und Belohnung

Es gibt auch andere Dinge, als irgendwelche Erwartungen zu erfüllen oder nicht, die als attraktiv oder unattraktiv abgestempelt werden könnten. Bestraft oder belohnt zu werden zum Beispiel.

Wenn du dich nicht an Normen hältst, kommt in der Regel die Autorität ins Spiel. Die Autorität deiner Mitschüler_innen zum Beispiel, die sich über dich lustig gemacht hätten, wenn du als Junge Bock gehabt hättest, ein Kleid zu tragen.
Oder anders herum, wenn du mit deinen coolen Klamotten und deinem passenden Verhalten in der tollsten Clique landen kannst, weil du der gerade gängigen Norm entsprichst.

Das heißt:
Wenn du keine Lust mehr hast, dich an eine Norm zu halten, dann pass mal auf:
Normenverstoß = (unbekanntes + furchteinflößendes) => Bestrafung.

Furchteinflößend? Weil du nicht daran gewöhnt bist, nicht zu wissen, was passiert, wenn du einen Kontakt aufnimmst, und weil es dir klar ist, dass das, was du gerade vorhast, wahrscheinlich bestraft werden wird, kann die Furcht ziemlich leicht anfangen, sich in deinem Kopf breit zu machen.

Vom Käfig zur Feindseligkeit

Gewöhnung an den einfachen Weg

Wenn du die Wahl hast zwischen etwas, das du nicht kennst und das dir Angst macht und etwas Gemütlichem, das dir vertraut ist: Für was entscheidest du dich? Du kannst dir schon selber ausmalen, wie die meisten in so einer Situation agieren. Den leichteren Weg zu nehmen, kann schnell zur Gewohnheit werden.

Stell dir mal diese Gewohnheit vor: dich in einer Welt zu bewegen wo die Normen es dir ermöglichen, dass alles einfach wird. So was könnte schon schnell dazu führen, dass du große Probleme hast, mit Orten klarzukommen,an denen die Normen anders sind. Das heißt, es könnte schnell passieren, dass du andere Kulturen, Denkweisen – und im Grunde allem was dir nicht nah und bekannt ist – mit Fassungslosigkeit begegnest oder dass du Fremdes einfach ignorierst.

Von Ignoranz zur Diskriminierung

Ignoranz? Vorurteile! Eine unbekannte Menschengruppe hängt immer irgendwie mit bestimmten Bildern und Vorstellungen in unserem Kopf zusammen, wahrscheinlich auch in deinem. Vorurteile entstehen gegenüber Gruppen, mit denen du keinen Austausch hast oder mit denen du nicht interagierst. Vielleicht bist du auch schon so einer Gruppe begegnet. So lange du die Menschen einer bestimmten Gruppe nicht kennen gelernt hast, wirst du die Vorurteile, die in deinem Kopf gegenüber dieser Gruppe herrschen, nicht beiseite räumen können.

Vorurteile? Diskriminierungen! Vorurteile führen nämlich oft zu Diskriminierungen. Das ist dir sicher kein Geheimnis. Wenn diejenigen, die nicht mit dem Strom mitschwimmen, bestraft werden, dann müssen sie gefährlich sein.
Und Gefährliches wird gerne zur Seite geschoben, als Feind angesehen und bekämpft.

Also, um es kurz dazustellen: Norm → Käfig → Diskriminierungen (Rassismus-Sexismus-Faschismus…)

Gerade deswegen ist es notwendig, etwas gegen einengende und ausgrenzende Normen zu unternehmen.

Gegen den Strom schwimmen

Zusammen macht Sinn, bringt aber nicht gleich zum Ziel

Es gibt viele Bewegungen, die probieren, etwas gegen Normen zu unternehmen. Es kann einem aber sehr leicht passieren, von dem einen in einen anderen Käfig zu geraten.

Stell dir mal vor, du hast dich dafür entschieden, dich nicht anzupassen. Die Angst vor der Strafe bedrückt dich. Wenn du allein gegen den Strom zu schwimmen versuchst, wirst du die Folgen allein ertragen müssen. In so einer Situation musst du es dir nicht lange überlegen: Unterstützung ist notwendig.

Aber da kommt eine Frage ins Spiel: Sollen beim gemeinsamen Schwimmen gegen den Strom alle in die gleiche Richtung stürmen, oder in ihre eigene? Es kann dir nämlich in so einer Situation schnell passieren, dass sich die alte Routine, die Welt in schwarz-weiß einzuteilen, das Steuer schnappt und davon macht.

Von Schwarzen zum Rosa Käfig

Warum? Weil du daran gewöhnt bist, dich entweder als Mitglied in vertrauten Verhaltensweisen sicher zu fühlen, oder dich als Außenseiter_in auf unsicheres neues Terrain zu begeben.
Und da dir das Vertraute attraktiver ist, kannst du schnell dazu kommen, dich einer Gruppe, die sich bestimmten Normen entgegenstellt, anzuschließen.

Aus so etwas, das einmal eine Gegenbewegung zu bestimmten Normen dargestellt hat, können ziemlich schnell Gegen-Normen werden, woraus überraschend schnell wieder neue Normen werden können. Aus diesen neuen Normen bauen sich neue Käfige auf und aus diesen neuen Käfigen werden neue Diskriminierungen. Nicht besonders toll, oder?
Wenn du also damit anfängst, Normen auf die eine oder andere Art und Weise zu bekämpfen, kann es dir ziemlich schnell passieren, wieder am
Ausgangspunkt zu landen. Es kann passieren, dass ein neuer Strom entsteht, der wieder zu neuer Diskriminierung führt.

Dekonstruktion

Sich etwas klar machen und ausprobieren

Gegen ein System vorzugehen geht nur auf eine Art und Weise, die sich vom System unterscheidet. Wenn du also gegen Normen vorgehen willst, musst du dir erstmal eingestehen, dass du wie jeder andere Mensch ein Individuum bist, das seine eigene Realität und seine eigenen Grenzen hat.

In der Tat wird es dir aber nicht viel bringen, monatelang darüber nachzudenken, wie toll es doch wäre, deine Freiheit endlich mal kennen zu lernen, ohne die von anderen damit zu stören. Um zu verstehen, wie etwas funktioniert, musst du es ausprobieren. Um zu zeigen, dass etwas möglich ist, musst du es einfach machen und damit anderen Leuten die Chance geben zu sehen, dass es möglich ist, es zu tun.

„Um das Mögliche zu erreichen, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden!“

Freiräume schaffen

Also dann… kannst du dich zusammenschließen mit anderen Leuten, die sich auch eingestehen, dass wir alle keine Normen brauchen und anfangen ,mit ihnen von unten die gesamte Normen-Logik langsam aber sicher zu dekonstruieren, ohne dabei eine neue Normalität aufzubauen.

Wenn wir gemeinsam gegen Normen vorgehen, wird klar, dass jede_r eigene Grenzen hat; und da diese Grenzen von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein können, muss, wenn es zu Konflikten kommt, ein Konsens gefunden und Kompromisse getroffen werden.

Um solche Konfliktlösungsprozesse durchzuführen, werden Räume gebraucht, wo diese Realität der ausgrenzenden Normen nicht akzeptiert wird. Es werden Freiräume für einer Kultur gebraucht, um sich zusammen abseits der Normen-Logik zu organisieren…

… und um ein bisschen atmen zu können.

Wir werden bleiben, und uns dafür engagieren, solche Räume zu schaffen.

Sand im Getriebe
Wagengruppe ohne Wagen

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